Konzept für ein Kinder Theaterstück von Tuncay Gary
Konzept v 1.0 – Enkidu rankX / 12.11.2010
Miguel de Cervantes Saavedra war zeit seines Lebens ein Außenseiter, der mitten in der Gesellschaft stand. Ähnlich seinem weltberühmten Protagonisten Don Quijote erlebte er das ganze Spektrum menschlicher Erfahrung, war Soldat (wobei er schwer verwundet wurde), Gefangener & Geisel, ein Justitzflüchtling, Autor mit Weltrum und doch die meiste Zeit seines Lebens mittellos und auf der Suche nach existentieller Sicherheit.
Und so wundert es nicht, dass die Zentrale Figur im Schaffen dieses Abenteurers eine ist, die am Rande der Gesellschaft steht, ein Außenseiter, der durch seine Position, seine Haltung und seine Bestimmung Wahrheit über eben jene sprechen kann; eine der zentralen Thesen des Don Quijote lautet daher: den Gesellschaftlichen Mikrokosmos mit seinen augenscheinlichen Absoluta, seinen Wahrheiten und Gegebenheiten zu hinterfragen, indem man aus der Mitte hinaustritt und sich eine neue, frische Perspektive erarbeitet. Um daraus Fortschritt zu schöpfen. Insofern ist der Quijote auch eine art ‚Jugendroman’ einer ganzen Epoche, der Moderne. Als eines der ersten Male stellt sich hier die Frage nach individueller (selbst-) Bestimmung und Lebensgestaltung.
Es geht Cervantes in seinem 2 bändigen Werk von Weltruhm, welches einige als Beginn der Modernen Literatur feiern immerfort um eine Kernfrage: was ist Identität. Woraus schöpft sie sich, wohin führt sie den Menschen, was sind ihre Segnungen und Flüche. Offensichtlich hat die Hauptfigur der Geschichte hier ein Defizit: seine Identität ist erdacht, erfunden, fabuliert. Hier haben wir einen armen Schlucker, alt, verbraucht, mittel- aber nicht ziellos, der sich für einen Ritter, einen Edelmann hält. Die Dreistigkeit dieser These ist für uns heutzutage kaum nachvollziehbar. Eine Analogie mag ein wenig Licht ins Dunkel bringen, uns einen Anhaltspunkt liefern: stellen Sie sich vor, ein Obdachloser würde sich den Windmühlen der modernen Finanzwirtschaft entgegenstellen, den Kampf mit Bänkern und Wirtschaftsmagnaten aufnehmen und trotz seiner schmachhaften Niederlage und Vertreibung von der New Yorker Börse uns zu gleichem oder zu mehr antreiben. Es ist ein Widerspruch der nur schwer zu fassen ist und dem Wesen des Werkes ganz eigen – geradezu als Matrize für Zukünftige Identitätsromane dienend.
Die andere wichtige Figur des Textes wird allerdings – sehr zu Unrecht – meistens unterschlagen oder höchstens als „Sidekick“ wahrgenommen. Es ist Sancho Pansa, seines Zeichens gewöhnlicher Bauer, Freund wieder Willen und doch Hauptzeuge in der Verhandlung der Frage der Wahrheit und Wirklichkeit: Sancho Pansa nämlich glaubt dem Don Quijote, legitimiert ihn (anfänglich um in Ruhe gelassen zu werden, aber auch mit einer klaren, unterliegenden Erwartung – der des möglichen persönlichen Profits). Insofern ist er es, der den Wahn des Helden zum heldenhaften Wahn macht.
Es gibt in der klassischen Literatur des Abendlandes zahllose ‚Verrückte’ (angefangen mit Herkules oder Odysseus) die einem ausweglosen Ziel, einer unfassbaren Bestimmung folgen, die nur wir als Leser und Mitverschworene kennen und die uns deshalb sinnvoll und richtig erschein, obwohl sie dem Sozio- und Biotop des Werkes (dem Personal der Geschichte) absurd erscheinen mag: wir wissen es besser. Wir wissen, das das Ziel des Don Quijote richtig, seine Moral integer ist und seine Bemühungen tugendhaft sind, auch wenn sie im Einzelfall schwachsinnig bzw. verrückt erscheinen müssen. Im Kern zählt die Absicht.
Und so schafft Cervantes etwas was eigentlich nicht funktionieren kann: ein Wahnsinniger schafft Sinn, ein eigentlich identitätsvergessener irrer schafft Identität. Das ist die zentrale Leistung dieser Geschichte: Identität speist sich eben nicht (nur) aus dem soziokulturellen Umfeld, sie schafft sich aus sich selbst, genügt sich selbst ist „Ding an sich“ wenn es so etwas überhaupt geben kann.
Hier liegt auch die überaus moderne „Message“ die wir mit dem Kinderstück „Don Quijote und Dulcinea“ vermitteln können und wollen: wage deine Träume zu leben, auch wenn alle dich dafür verlachen. Sei du selbst egal was andere denken. Und wenn du für deine Ideen und Sehnsüchte an den Tellerrand gedrückt wirst so wisse: es gab schon Menschen vor dir, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben. Und trotzdem haben sie es geschafft, haben uns inspiriert!
Natürlich kann ein Kinder-Theater-Stück niemals ein Werk dieses Ausmaßes auch nur annähernd umsetzen. Zu dicht, zu komplex und vor allem zu lang ist das 2 Bände und über 1500 Seiten umfassende Werk, als das nicht eine extreme Beschränkung von Nöten wäre. Und so konzentriert sich „Don Quijote und Dulcinea“ auf 3 zentrale Themen die auch im Originaltext ein zentrale Rolle einnehmen: Selbstbestimmung, Freundschaft und Toleranz.
- Selbstbestimmung deshalb, weil der Protagonist im Stück wie im Text seiner selbst gewählten Bestimmung folgt – unbeeindruckt von den Vorurteilen anderer.
- Freundschaft, denn die Freundschaft zwischen Don Quijote und Sancho Pansa / Dulcinea ist Bestätigung, ist Sicherheit und Vertrautheit und daher Basis der Selbstbestimmung.
- Toleranz, da wo Andersartige die eigene Fremdheit bejahen, kann ich so sein wie ich bin. Denn irgendwo sind wir alle Fremde…
Die kindgerechte Theaterfassung fokussiert daher die komplexe Geschichte auf die Beziehung der beiden Hauptpersonen untereinander, ihre Erlebnisse in der Welt und ihren Umgang mit Widrigkeiten, den eigenen Zielen und Wünschen aber auch ihren Fehlschlägen und will eine einfache und dennoch wichtige Nachricht vermitteln: Glaub an deine Träume, vertrau deinen Freunden und stehe immer wieder auf um für beide zu kämpfen.
Das ca. 45 minütige Stück mit den 2 Schauspielern Tuncay Gary als Don Quijote und Mimi Beaufort als Sancho Pansa / Dulcinea ist quasi als Roadmovie angelegt und folgt ihnen in ihren Abenteuern auf den Straßen und Wegen der Mancha. Die Folge zahlloser Abenteuer, die sie bestehen müssen, werden von musikalischen Momenten, eigens komponierten Songs (die auch zum mitsingen anregen sollen), aufgelockert und generell von Mitmachspielen begleitet. Auch die Form und Ausprägung der Bühne und Requisiten schlägt den Bogen zur Lebenswelt des Publikums (Pferde z.B. sind Skeatbords, … …) und ermöglicht somit eine moderne Rezeption dieses Zeitlosen Stoffes.