Generative Kunst in Echtzeit

als Versuch die Maschine zum Träumen zu bewegen

„Do androids dream of electric sheep?“

P.K.D. [1]

von Enkidu rankX © 2009
erstmals veröffentlicht im Magazin Prolog 4

Vorbemerkung: im Zuge der Ausstellung Prolog 4 sind zu diesem Text 2 Videoarbeiten / Installationen entstanden.  Zum einen „Island of life in a sea of death“ (zu sehen hier >>) und eine Echtzeit Visualisierung des Textes mit PureData / GEM, welche am Ende des Textes zu sehen ist.

Ein Blick ins vorabendliche TV Programm zeigt den „state of the art“ digitaler Bildproduktion. Hochqualitative 3D Animationen, abstrakt bis hyperrealistisch, fluten dort in unsere Bilderwelt. Eines haben diese Bilder gemein: sie entstanden auf Hochleistungscomputern in mehrstündiger, mehrtägiger manchmal sogar mehrjähriger Arbeit. Sie wurden getrennt generiert, beleuchtet, gerechnet, nachbearbeitet und schließlich geschnitten.  Im Gegenzug dazu gestaltet sich generative, also entstehende Echtzeitkunst, während der Laufzeit ihrer Aufführung selbst und entsteht jederzeit neu.

Diese in den letzten Jahren am Rand des allgemeinen Diskurses auftauchende Form künstlerischen Handelns möchte ich genauer beleuchten und darstellen, warum das Paradigma der generativen künstlerischen Produktion in Echtzeit nicht bloß ein neues Werkzeug ist, sondern zu einer grundlegenden Infragestellung der künstlerisch kreativen Identität und Position führen kann. Die Frage könnte lauten: Wer schafft hier eigentlich wen oder was?

Zunächst möchte ich dieses Phänomen in zwei distinkte Schulen einteilen. Zum einen sind da jene Künstler, die ihre ästhetischen und kreativen Wurzeln aus der frühen Videokunstszene (vor allem Nam Jun Paik [2]) bzw. der Circuit Bending  Szene [3] beziehen. Diese stehen für eine dekonstruktive Richtung, deren Fokus auf der Zweck- und Funktionsentfremdung bestehender technischer Systeme liegt. Zum anderen die konstruktive Richtung mit ihren frühen Vorläufern, den ‚Plotterkünstlern’ (u.a. Vera Molna, Frieder Nake, Masao Komura, Makato Ohtake), die sich formell und stilistisch auf die Generierung von Inhalten unter Zuhilfenahme maschineller Algorithmen stützten. Beide Ansätze verbindet der Gedanke, nach vorheriger Manipulation, dem Gerät „freie Hand“ und sich in mancher Hinsicht vom Resultat überraschen zu lassen.

Zu Beginn der neunziger Jahre erfährt die algorithmische Form der digitalen Kunstproduktion ihre Popularisierung in Clubs und Lounges. Vor allem die Verbreitung des Laptops und die immer stärkere Integration von Speicher und Grafikchips ermöglichten es einer Vielzahl junger Künstler zum ersten Mal auch mobil ihre künstlerischen Produktionen zur Aufführung zu bringen. Einige Künstler definierten sich kurzerhand neu, in Anlehnung an die DJ’s, als Visual Jockeys – VJ’s [4]. Hier vereinigten sich beide Traditionen und es entstanden erste interaktive, vor Ort generierte visuelle Experimente, die auch die frühen Vorläufer digitaler Kunst zitierten, sie allerdings um drei wichtige Kriterien erweiterten: erstens, die synästhetische Kopplung mit Musik, zweitens, die Integration anderer, der Welt der Computer entstammende Eingabegeräte wie Webcams, Joysticks, Midicontroller und drittens die eigene Performance als Teil der künstlerischen Handlung.

Die generative Kunst ist kein rein digitales und neuzeitliches Phänomen. Auf eine gewisse Art kann Jackson Pollock mit seinem Actionpainting in der klassischen Moderne als einer ihrer Vorreiter betrachtet werden. Die späteren Künstler der Process-Art [5] (u.a. Bruce Nauman, Robert Morris, Eva Hesse) bilden eine direkte Brücke zur prozessualen, von Konzepten dominierten Kunst des späten 20. Jahrhunderts. Ihnen allen ist der Wunsch nach Darstellung des Entstehungsprozesses als integraler Bestandteil des Kunstwerkes gemein. Allerdings unterscheidet sich die Kunst der Prozesskünstler in einer wichtigen Hinsicht von heutigen Strömungen prozeduraler Kunst: Bei ersterem steht die Interaktion des Künstlers mit seinem Werk im Mittelpunkt. Im Gegensatz hierzu verhält sich die generative Kunst der Jetztzeit kontinuierlich interaktiv. Ziel ist hier nicht die Darstellung eines kreativen Prozesses, welcher irgendwann als abgeschlossen gilt, sondern die permanente Offenhaltung der Arbeit, sowie die Weigerung des Künstlers, eben jene abzuschließen; die Arbeit entsteht und vergeht mit jedem Moment.

Vereinfachend könnte man sagen: das Ziel der ‚klassischen’ Kunstproduktion ist das Werk, das der frühen generativen Kunst die Darstellung des Prozesses, der zum Werk geführt hat. Die gegenwärtige Echtzeitkunst macht die Entstehung und ihre Bedingungen selbst zum Thema, zum Werk.

In den letzten zehn Jahren ist die Nutzung der Interaktivität des elektronischen Mediums im Bereich der Kunst explodiert und eine ganz neue Generation von Künstlern, befreit vom kunsthistorischen Ballast der Moderne, schreitet in Richtung „Erweiterter Realität“ [6], quasi in einem Zug die engen Kategorien gestalterischen Schaffens und gängiger Realitätsbegriffe sprengend. Medien und Werke, die in die Kategorie der „Erweiterten Realität“ einzuordnen sind, setzen am Schisma zwischen Realität und ihrer Abbildung an, in dem sie die Wirklichkeit um eine ästhetische bzw. informative Ebene ergänzen. Somit fällt die Grenze zwischen Produktionsort und Aufführungsort sowie Produzent und Konsument weg. In diesem Kontext kann die gegenwärtige Tendenz im Bereich des „Projection Mappings“ [7] als eine der interessantesten hervorgehoben werden. Hier wird auf den bespielten Raum Rücksicht genommen, in Interaktion treten die Künstler dieser Szenen nun in die volle Integration von Bild, Film und Skulptur, Musik und Ton.

An dieser Stelle möchte ich feststellen: die oben beschriebene Auseinandersetzung führt zu einer Frage, die nicht erst seit heute diskutiert wird, sondern seit Menschengedenken Teil des kunstphilosophischen Fragenkataloges ist. Nämlich, wer ist der Schöpfer eines Kunstwerkes; wo beginnt, wo endet der Schöpfungsprozess? Meines Erachtens nach entsteht Kunst immer auch im intermediären Raum zwischen Künstler, Publikum und Medium, quasi in ihrer gegenseitigen Interaktion. Wer der Künstler ist, was er beabsichtigte ist gleichermaßen Teil des Werkes wie auch die innere und äußere Einstellung des Publikums, sowohl die äußeren Rahmenbedingungen der Veröffentlichung als auch das Setting seiner Präsentation. So gesehen ist eine immer wieder aufs Neue entstehende Form und Manifestation der Versuch, den althergebrachten Prozess von Produktion und anschließender Präsentation, mitunter auch zeitlich zu verschränken, seine Grenzen aufzulösen und somit den Prozess selbst bewusst zu machen.

Gleichermaßen interessiert mich auch der Aspekt der Essenz und Qualität des Bewusstseins. Wenn ich einem Computer Regeln an die Hand gebe, nach denen er teilweise selbstständig kreativ handeln kann; wenn ich quasi einen Teil des Schöpfungsprozesses an eine Maschine abgebe, erhält sie dann nicht auch eine Form von Bewusstsein, eine Möglichkeit selbst und selbstbestimmt zu sein?

Ich habe dem fragilen System Computer häufig bei meiner Arbeit eine Form von Bewusstheit unterstellt – meistens wenn er ‚seinen eigenen Willen’ entwickelte und sich trotz zahlloser Versuche ‚weigerte’ zu tun, was ich von ihm wollte. Diese Antropomorphisierung ist sicherlich zum Großteil meinem eigenen Bewusstsein zuzuschreiben, quasi eine Form der Stressbewältigung, und doch lässt sie eine nahezu magische Handlungsstrategie zu: anstatt die Maschine durch Einimpfung rationaler Strukturen, durch Imitation unseres Wachbewusstseins zur Manifestation künstlicher Intelligenz zu führen, gehe ich den Weg, die Maschine zum Träumen zu bringen, ein Substrat freier Assoziation zu gewährleisten auf dem der Spross ‚künstlicher Bewusstheit’ keimen könnte. Dieser Wusch nach Konversation mit dem gänzlich Fremden, dem Bewusstsein ganz anderer Art ist, ich muss es gestehen, einer meiner zentralen Motivationsfaktoren.

Abschließend möchte ich feststellen, dass keine Kunstrichtung zurzeit aktiver, aber auch hermetischer und verworrener ist, als eben jene digitale Bewegung. Die oben dargestellten Tendenzen spiegeln nur einen kleinen Teil der Szene wider und es scheint mir persönlich, als steht dieser digitale Kunsttrend gerade erst an seinem Anfang. Es bedarf jetzt der Autoren, sinnvolle, berührende und transzendente Werke zu schaffen, die in ihrer Wirkung ihre Zeit überdauern werden. Geht man davon aus, dass es, wie bei der Fotografie oder der Videokunst, ca. 20 – 30 Jahre dauert, bis ein neues Medium vollends für den Kunstbetrieb erschlossen ist so können wir davon ausgehen in den nächsten Jahren einen signifikanten Schub künstlerisch hochwertiger Auseinandersetzung mit dem Medium zu erleben.

Generative Echtzeitkunst als Versuch, die Maschine zum Träumen zu bringen. from Enkidu rankX on Vimeo.

Fußnoten:

  1. http://de.wikipedia.org/wiki/Tr%C3%A4umen_Androiden_von_elektrischen_Schafen%3F
    http://www.philipkdick.com/
  2. http://www.paikstudios.com/
  3. http://de.wikipedia.org/wiki/Circuit_bending
  4. http://www.vjnews.de/
    http://www.uni-weimar.de/projekte/vj/
  5. http://de.wikipedia.org/wiki/Prozesskunst
  6. Auch Augmented Reality AR im Gegensatz zur Virtuellen Realität VR
    http://de.wikipedia.org/wiki/Erweiterte_Realit%C3%A4t
  7. http://createdigitalmotion.com/index.php?s=projection+mapping

Literatur:

  • Wolf Lieser – DIGITAL ART – ART POCKET
    h.f. ullmann / Tandem Verlag 2009, 285 Seiten, Deutsch
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  • Mark Tribe und Reena Jana – NEW MEDIA ART
    TASCHEN 2006, 69 Seiten, Deutsch
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